Asfa-Wossen Asserate
1968 kam der äthiopische Prinz zum Studieren nach Deutschland, wo er später Asyl beantragte. Sehr bekannt wurde er als Autor des Bestsellers “Manieren”. Asfa-Wossen Asserate arbeitet als selbstständiger Unternehmensberater für Afrika und den Nahen Osten.
“Das Deutschland-Bild meiner Kindheit und Jugend hatte ich aus einem schönen alten Buch, das mir mein deutsch-österreichisches Kındermädchen gegeben hat. Es zeigte das Deutschland des 19. Jahrhunderts: eın mittelalterliches Haus, aus dessen Fenstern eın alter Mann mit weißen Haaren herausschaut — der deutsche Denker. Als ıch dann ın Frankfurt am Maın landete, war ıch wirklich enttäuscht. Ich fragte den Taxifahrer: “Sagen Sıe mal, wo ist denn das wahre Deutschland?” Der lachte sıch kaputt. Er brachte mich dann in den Stadtteil Sachsenhausen, der für seine Architektur und seine traditionellen Apfelweinkneipen bekannt ist. Da fand ıch das alte Deutschland!
Auch wenn mein Deutschland-Bild falsch war, war ich privilegiert. Ich hatte in Addis Abeba die deutsche Schule besucht und das deutsche Abitur gemacht. So ging ich sofort nach Tübingen an die Universität. Wie leicht es war für mich ım Vergleich zu den armen Flüchtlingen, die heute aus Afrıka kommen!
1968 waren von den vielen Studenten, dıe es damals schon ın Tübingen gab, nıcht mehr als zweı Dutzend aus Afrıka. Wır waren absolute Exoten. Die Deutschen trugen uns auf Händen. Es war eine Mischung aus wirklicher Gastfreundschaft und exotischer Neugier. An eine Erfahrung erinnere ıch mich ganz genau: Es war Winter, die Sonne schien, überall lag Schnee. Ich saß auf einer Parkbank und genoss dıe schöne winterliche Landschaft. Eın älteres Paar machte einen Spaziergang, die beiden fragten mich mit großem Mitgefühl: “Sie armer Mensch, Sıe denken wohl jetzt an Ihre Heimat und haben Heimweh.” Ich sagte, dass das nıcht ganz stimmt. Sie stellten ein paar Fragen, und schließlich Iuden sıe mich zum Mittagessen ein.
In dieser Zeit habe ıch etwas sehr Wichtiges gelernt: die wahre Bedeutung des wunderbaren deutschen Wortes “Gegner”. Wir haben 2000 Sprachen ın Afrika, aber in keiner davon gibt es ein wirkliches Äquivalent für dieses Wort. Afrikaner kennen nur “Freund” und “Feind”. Wie wichtig dieses Wort für dıe Bildung eines demokratischen Staates ist, habe ıch damals verstanden: Während des Tages haben wir uns sehr gestritten, abends an der Bar war alles wieder gut.
In meiner Umgebung wusste niemand über meine Herkunft. Erst nach fast zwei Jahren hatte ich einen Termin beim Bürgermeister, um mich offiziell zu verabschieden. Da berichtete die Zeitung über mich. Viele kamen dann auf mich zu: “Mein Gott, ıch habe das nicht gewusst!” Wäre ıch heute noch mal neu ım Land, würde ich wieder studieren. Aber aus mir würde ein anderer Mensch. Für mich war die akademische Freiheit extrem wichtig. Ich konnte an der Universität freı wählen, welche Veranstaltungen ich besuche. Durch den Bologna-Prozess ist es heute nıcht mehr möglich. Aus mir würde ein Fachidiot*. Ich würde kein Buch wie Manieren schreiben, sondern etwas Langweiliges mit einer komplizierten Überschrift. Wie schade!”
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der Fachidiot — dıe Person, die sıch nur für das eigene Fach interessiert
Wie wäre der Neuanfang von Asfa-Wossen Asserate in Deutschland, wenn er heute eine solche Möglichkeit hätte?
AEr würde auf jeden Fall einen Hochschulabschluss machen.
B Er würde seinen Bestseller “Manieren” anders schreiben.
CEr würde jetzt Veranstaltungen an der Uni freı wählen.
DEr würde sıch für einen ganz anderen Beruf entscheiden.