Aufgabe 2
Malen und zahlen
Einen Galeristen? Den hätte Mikail Akar vor Social Media gebraucht. Jetzt sind seine Bilder so viel wert, dass er sie schon lange nicht mehr als Geschenk weggibt — auch nicht an seine Großeltern.
Kerem Akar setzt sich in seinem Wohnzimmer in einen Sessel, gegenüber einer groß gerahmten Leinwand. Die hat sein Sohn Mikail bemalt, der zu diesem Zeitpunkt aber in der Grundschule sitzt. “Wenn man nicht erwähnen würde, dass der Künstler sieben Jahre alt ist, könnte man die Bilder Richter, Pollock oder Basquiat zuordnen”, sagt Akar fest — und dass sie bis heute nach jeder Ausstellung komplett ausverkauft waren. Die Frage darf jetzt nicht sein, ob das, was Mikail da macht, auch wirklich Kunst ist. Sondern wie es dazu kam, dass die Welt das glaubt. Die Bilder, die hinter Kerem an der Wohnzimmerwand lehnen, haben Leute über die Webseite bestellt, ohne sie vorher gesehen zu haben. Sie warten nur noch darauf, abgeholt zu werden.
Ganz am Anfang wollte Akar seinen Sohn zu Workshops bringen, aber mit vier Jahren war er dafür zu klein. Er selbst wusste ja nicht einmal, welche Farben man benutzt. Kerem Akar tat das, was er immer tut, wenn er eine Frage hat: Er schaute in sein Handy. In den Youtube-Filmen war zu sehen, wie Gerhard Richter in seinem Atelier rakelte. Wie jemand eine Leinwand grundierte. Wie aus vielen Farbschichten ein komplexes Bild wurde. Auch Mikail benutzte nun eine Rakel, gab eine Schicht nach der anderen auf die Leinwand, spritzte und kleckste. Seine Bilder sahen mehr wie die von anderen Künstlern aus und weniger wie die von seinen Freunden aus dem Kindergarten.
Im Nachhinein erinnert sich der Vater an seine ersten Kontaktversuche in der Kunstwelt als eine Phase der Demütigung, in der ihn niemand ernst nahm. Niemand wollte eine Ausstellung mit den Bildern eines Kindergartenkindes organisieren. Bei “Nissis Kunstkantine” in der Hamburger Hafencity griff er zu einem Trick: Er hat sich ein Okay für die Ausstellung mit “seinen” Bildern organisiert. Dann hat er den Besitzern erklärt: Ich muss Ihnen etwas sagen, die Bilder sind von meinem sechsjährigen Sohn. Sie waren überrascht, ließen die Ausstellung aber trotzdem stattfinden. Akar lernte dort Menschen von der Privatbank August Lenz kennen, wo sein Sohn danach ausgestellt wurde.
Kerem Akar denkt in Chancen, Kontakten, Beziehungen. Ohne den Vater würde Mikail heute nur außergewöhnliche Bilder malen. Stattdessen ist er “das Gesicht” der Kids Foundation von Manuel Neuer. Deshalb hat er mit dem Torwart zusammen gerade ein Bild für einen guten Zweck gemalt, in dessen Mitte ein halber Adidas-Fußball zu sehen ist. "Davon wird es elf Exemplare für eine Edition geben”, sagt Kerem Akar. Das Original ist schon für 11 000 Euro verkauft.
Kerem Akar weiß, dass viele Menschen Probleme damit haben, mit welcher Systematik er seinen Sohn vermarktet. Ja, sicher wirkt es seltsam auf andere Eltern. Aber in der Logik eines Vertrieblers macht es Sinn. Und tun nicht alle Eltern, was sie können? Kerem Akar kann eben Vertrieb. Es ist sein Beruf, sein Denken. Von Kunst hatte er vorher überhaupt keine Ahnung: “Begriffe wie abstrakt oder Acrylfarbe haben wir durch Mikail zum ersten Mal gehört.” Kerem Akar denkt Erfolg im Kontext der Märkte.
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die Edition, -en – hier: Druck
der Vertriebler – Person, die in der Verkaufsabteilung einer Firma arbeitet
Was erzählt Kerem Akar über die Bilder seines Sohnes?